menschen wandern

jeden montag
schleichen sie durch die straßen
die braven bürger von dresden
haben angst
angst wovor?
wir fragen sie
nur keiner von ihnen
hat keine antwort

völlig unwissend
dass sie angst haben
vor einem prozess
der sie hierher brachte
sie haben angst
das menschen wandern

wo einst doch
ganze völker wanderten
wird nun das natürlichste am menschen
zum recht

das recht zieht mauern hoch
hinter denen sich
die braven bürger dresdens
verschanzen:
das recht der stärkeren
das recht der wohlhabenderen
das recht der klügeren

montags streifen
die braven bürger
durch jene stadt
die einst
selbst in höchster not
tausende aufgenommen hat

sie sprechen millionen andere worte
wie in einem chor
nur, dass sie selbst nicht wissen
was sie sagen

das abendland
meinen sie
sei in gefahr
sei dem untergang geweiht
die braven bürger dresdens
haben ihre wurzeln vergessen
die geschichte ihrer stadt
sie sind blind
vor wohlstand

die braven bürger dresdens
sind laut und wütend
sie verachten das menschliche
doch zum glück
sind sie nicht das volk

der alte

jeden sommermorgen
sitzt er am straßenrand
in seinem stuhl
schaut den leuten entgegen
blickt ihnen hinterher
pafft er hinaus
woran er sich erinnert
er denkt
oder einfach nur rauch
sein blick erzählt mir
dass er die tage zählt
ich denke
mag er allein sein
ob er noch offene rechnungen hat
ich denke
kaum weiter
gehe vorbei
die schwester kommt
und nimmt ihn mit

der freie wille

der freie wille
ist ein bröckelnder fels
den wir hoffnungsvoll
in den ewigen strom des schicksals werfen
um darauf zu balancieren
vom andern ufer winkt
die freiheit uns hinüber
das wir frei werden
auf halber strecke
gehen uns die steine aus
der lahme strom
duftet plötzlich
nach honig und milch
leichter wird es
von sekunde zu sekunde
hinein zu sinken
hinfort zutreiben

move move move

sie locken dich
das ist die chance
ein großer kannst du werden
richtig asche machen
groß rauskommen
dickes auto
hübsche püppie
tolle freunde
leichte mädels (als provision)
so rufen sie es millionen zu
und verschweigen:
den künstlich organisierten überlebenskampf
kotze! hunger! glätte dich!
bis zur unkenntlichkeit
befolge ihre regeln
erniedrige dich, erhebe dich über andere
zeit ist geld
das geld haben sie
also bestimmen sie deine zeit
beeile dich
die plätze sind schnell ausverkauft

die schweine

sie drehen die steine
sie schleifen die klingen
sie schlachten die schweine
sie fletschen die zähne
teilen die gebeine
sie ferchen zusammen
sie schwingen die peitsche
sie blasen zur jagd

und du sitzt da
an deinem frühstückstisch
an dem du
dein brötchen ißt
denkst so nach
lenkst dich davon ab
den stall zu sehen
im dreck zu wühlen
lieber ein schwein sein
als sich als mensch zu fühlen

die eine

alle menschen suchen sie
die eine
die einzigartig
die wundervolle
von der alle sprechen
nach der alle rufen
und sich verirren
man erzählt von ihr
als sei sie der heilige kral
geschichten ranken sich um sie
doch:
keiner fand nur ein haar von ihr
die menschen suchen süchtig
erlösung suchend
nur sucht keiner nach ihr
ein jeder möchte der eine sein
der eine der sie fand
manche behaupten
sie sei schön und herrlich
doch sie ist auch: roh und hässlich

so irren menschen
durch ihr leben
die eine zu finden
ewig stöbernd im gedankenmeer
bei allem suchen
hätten sie schon finden können:
bei sich selbst
und die wahrheit ist:
die deine

berührung

ich wünschte
ich gleite
durch das leben
und jeden mensch
der sorgenvoll
seine schultern hängen lässt
der im alltag
unscheinbare wege begeht
um nicht erkannt zu werden
wie traurig er ist
ich wünschte
ich berührte sie
all die menschen
so leicht
dass sie’s kaum merkten
und all ihre sorgen
wären vergessen

salto über der stadt

während ich mich geländer halte
halte ich dich
und du hältst es
seine hand berührt die wolken
so sachte, dass es aussieht
als stocher es in zuckerwatte
über der stadt
balancieren wir
in der luft
ein lächeln huscht über unsere gesichter
ein kleiner familienzirkus
der sich von nun an
durch’s leben schwingt
von zeit zu zeit
werden wir straßen und wege benutzen
aber wir werden uns
niemals zum affen machen lassen

ein sturm

ein sturm
bricht los
der uns auseinandertreibt
weil einer von uns
die büchse öffnete
aus der er kam
heult durch die äste
drückt das gras zu boden
windet sich
wie eine schlange um meinen hals
kein wort mehr findet zu dir
er rankt
um meinen körper
wo meine arme
nach dir greifen wollen
die dunkelheit des schweigens
breitet sich aus
am nächsten morgen
wird die verwüstung offenbar:
eine schneise kleider
führt zum bett
und bei mir liegst du.